JOURNAL AM MITTAG

Anmodhinweise: Sankya

Hierzulande ist es vor allem durch die Rockband Pussy Riot und die Staatsgewalt, mit der sie bekämpft wurde bekannt geworden. Das Brodeln in der jungen Gesellschaft in Russland, das Aufbegehren gegen einen Staat, der rücksichtslos gegen Andersdenkende vorgeht und gegen demokratischen Regeln verstößt.Vor 7 Jahren hat das der Schriftsteller Sachar Prilepin in einem Roman zum Ausdruck gebracht: „Sankya“, benannt nach dem Held seiner Erzählung, die viel Autobiographisches enthält, denn Prilepin kennt beide Seiten. Jahrelang hat er bei einer Eliteeinheit des Staates mitgewirkt, ehe er die Seiten wechselte und sich den Nationalbolschewiken anschloß, die als verfassungsfeindlich verboten sind. Seit einigen Jahren verlagert er seinen Widerstand auf seinen Schreibtusch. Das Buch wurde in Russland Kult - kam allerdings erst vor einem Jahr in deutscher Übersetzung bei uns auf den Markt. Ralf Siebelt hat das Stück nun für das Landestheater Tübingen bearbeitet und als deutsche Erstaufführung inszeniert. Am Samstag war Premiere. Rainer Zerbst...

Sachar Prilepins Roman „Sankya“ kam auf die Bühne des LTT (SWR2)

Was für ein Bühnenbild! Hannah Landes hat die Spielstätte mit einem riesigen Gitter in einen Käfig verwandelt, und in diesem Käfig läßt Regisseur Ralf Siebelt die Figuren nahezu die ganze Zeit agieren. Symbolkräftiger geht es kaum mehr: Ganz Russland - ein einziges Gefängnis, und die, die sich gegen die Mächtigen in diesem Land zur Wehr setzen, sind in diesem Gefängnis noch einmal ausgegrenzt, werden von der Polizei mit Gewalt in ein Ghetto getrieben, wenn ihnen nicht noch Schlimmeres droht. So erlebt es Alexander Tischin, genannt „Sankya“, und so wird es uns auf der Bühne gleich zu Beginn auch erzählt.

Szene: Anfang: Die Grauen standen hinter der Absperrung, die Milizionäre hatten feiste, vor Aufregung rot angelaufene Gesichter - und da war der unumgängliche Offizier, der kampfeslustig in die Meute schaute. Seine Hände lagen frech am oberen Rand der Absperrung, die die Demonstranten von den Ordnungshütern und der ganzen Stadt abtrennten.

Dabei haben diese jungen Leute, die ihr Land lieben, keine Gewalttat begangen, sie haben lediglich aufbegehrt, Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen, möglichst die Aufmerksamkeit der westlichen Medien, indem sie Läden beschmieren, Blumenauslagen demolieren. Rücksichtslos greift die Polizei ein. In eine Art Kellerloch müssen sich die zurückziehen, die einen besseren Staat wollen, ein Land, das sie Heimat nennen können - doch diese Heimat, so hält Sankya ein ehemaliger Studienfreund entgegen, gibt es nicht mehr.

Szene Gegenposition: Es ist vorbei, sie hat sich aufgelöst. Es lohnt sich doch nicht mehr, die Leute mit Schweinereien zu provozieren - Leute zusammenschlagen, Fenster zerdeppern, und was ihr sonst noch alles zerstört.

Sachar Prilepin hat in seinem Buch über diese junge aufbegehrende Generation keine einseitige Schwarz-Weißmalerei betrieben, er porträtiert auch die Gegenposition zur Revolte, das ist der Rückzug des Intellektuellen in die gepflegte Resignation:

Szene: Gegenposition 2: Alexej: Es gibt nicht einmal irgend ein Stück Land mehr hier, kein Vaterland, an dem der Stadt, wie es so schön modern heißt, geopolitisch interessiert wäre.

Sankya: Auf diesem Land lebt aber das Volk.

Alexej: Dein Volk, Sankya, ist unzurechnungsfähig. Glaubst du wirklich, daß ein Volk, das zur Hälfte aus Rentnern und zur anderen Hälfte aus Alkoholikern besteht, Land braucht?

Aber Sankya bleibt bei der einmal von ihm eingeschlagenen Linie - und trifft auf immer radikalere Brutalität der Polizei - eine Schraube der Gewalt nach oben. Ralf Siebelt läßt das vor allem durch Lärm ausdrücken. Da werden donnernd Kisten zu Boden geworfen, da hangeln sich die Protagonisten lautstark turnend über das Gitter des Käfigs. Das ermüdet auf die Dauer. Lediglich Ben Janssen in der Titelrolle gelingt in solchen sich immer wiederholenden Aktionen dramatischer Ausdruck. Er zeigt, daß dieser Sankya durch den Staat zur Verzweiflungstat getrieben wird. Die übrigen Akteure wirken eher papieren. Siebelt macht es ihnen allerdings auch nicht leicht. Immer wieder müssen die übrigen vier Schauspieler in die verschiedensten Rollen schlüpfen; da mutiert einer, der eben noch Revoluzzer war, unversehens zum Polizisten der Gegenseite - das trägt nicht gerade zur Klarheit der Aussage bei. Vor allem tut sich Siebelt schwer mit der Umsetzung des Romans in ein Theaterstück. Gedanken Sankyas werden per Mikrophon eingespielt. Vor allem aber wird ständig aus dem Roman zitiert, als sei das Stück eine Erzählung.

Szene: Erzählung: Sankya hob den Teil der Absperrung, den er zu fassen bekommen konnte, hoch über den Kopf. Die Miliz stand machtlos da und ließ die junge, vor Glück jaulende Menge in die Stadt.

Solche Sätze haben in einem Roman ihre Berechtigung, auf der Bühne haben sie nichts zu suchen.

Rainer Zerbst, SWR2 - 1. Oktober 2013

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